Das intelligente Chicken McNugget

Das intelligente Chicken McNugget

Ein Blogeintrag aus der Sicht des Masthuhnes Jenny, geschrieben von Julienne Lehmann und Adagny Guerra Perez.


Rechte? Diesen Begriff kenne ich nicht. Rechte sind ein Privileg, welches uns die Menschen vorenthalten. Auf engsten Raum lebe ich mit meinen Brüdern und Schwestern eingepfercht. Wir verbringen fast unser ganzes Leben hier, vom süßen kleinen Küken bis hin zum ausgewachsenem Huhn. Was zunächst wie ein langes erfülltes Leben klingt, umfasst eigentlich nur etwa 30 Menschentage und dann nimmt unser Leben ein grausames Ende. Wer es so weit geschafft hat hier zu überleben, verendet spätestens wenn die Menschen uns holen kommen - das ist zumindest meine Theorie, denn es kam nie einer zurück. Tageslicht? Auch das kennen wir nicht. Jedes Mal wenn einer dieser Menschen die große Halle betritt, gehen entweder die Lichter an oder aus. Den Geruch von guter Luft dürfen wir dort drin nicht erleben, auch dieser wird uns verweigert. Der Raum wird immer enger und enger, denn wir wachsen sehr schnell. Man nennt uns Masthühner. Innerhalb weniger Wochen sind wir erwachsen, das unterscheidet uns von Artgenossen. Unsere Bestimmung ist es möglichst groß und dick zu werden, um den Menschen zu gefallen. Müsste ich nicht immer mit meinen Brüdern und Schwestern kuscheln, würde ich sehr frieren, denn unser Boden ist nicht gestreut. Er ist sehr hart und kalt. Wenn einer von uns es ist nicht schafft bis zum Erwachsenenalter durchzuhalten, dann bleibt er trotzdem bei uns, keiner bietet ihm die Möglichkeit in Würde zu Ruhen. Wir müssen um ihn laufen als wäre nichts geschehen – wenn noch genug Platz dafür bleibt oder unser Körper uns noch gehorcht. Wenn die Menschen über uns sprechen, fällt oft das Wort Massentierhaltung. Ich glaube das bedeutet einfach, dass ganz viele Tiere auf engem Raum leben und kein artgerechtes Leben führen dürfen. So weit ich weiß ist das bei den Menschen nicht so, sie behandeln uns anders. Als wären wir weniger wert, als existierten wir nur zu ihrem Nutzen. Doch die Frage ist warum? Haben wir nicht genauso das Recht uns so zu entfalten, wie die Natur es vorgesehen hat? Sind wir wirklich weniger wert als die Menschen?

Irgendwo kann ich ja verstehen warum die Menschen das machen: wir nutzen der Wirtschaft. Dadurch, dass bei unserer Haltung möglichst viel Geld gespart wird, können wir am Ende günstig weiterverkauft werden und der Endverbraucher freut sich. Somit sind meine Artgenossen und ich ein zugängliches Gut für jeden, wodurch selbst Menschen aus ärmeren Verhältnissen sich Fleisch leisten können. Abgesehen davon, dass der Preis möglichst niedrig gehalten wird, ist es durch Massentierhaltung möglich den Bedarf an Fleisch für die Bevölkerung zu decken – denn die Tendenz steigt. Wenn man beispielsweise die Preise der Produkte meiner Artgenossen aus Massentierhaltung mit den Preisen der Tiere aus Freilandhaltung vergleicht, ist leicht zu erkennen, dass wir günstiger sind. Viele Menschen sind auch nicht bereit mehr Geld zu investieren in Fleisch, welches von vermeintlich glücklicheren Hühnern stammt, da sie es als ihr Recht sehen günstiges Fleisch in Massen kaufen zu können.

Doch was viele dabei vernachlässigen sind die unwürdigen Lebensbedingungen, unter denen wir leiden. Fast das gesamte Fleisch, was für die Menschen auf einfachsten Weg erwerbbar ist, stammt aus Massentierhaltung, sodass es nicht nur mir und meinen Artgenossen, sondern auch anderen Tieren so ergeht. Ich muss mir einen Quadratmeter mit mehr als 20 anderen Hühnern teilen – Privatsphäre gibt es da nicht. Und durch das erhöhte Wachstum, was von uns mittlerweile erwartet wird, wird es nur noch enger. Ich wurde mit etwa 42 Gramm geboren und wiege nun, nach etwas mehr als 30 Tagen, knapp 1,6 Kilogramm. Meine Muskel- und Fettgewebe wachsen um einiges schneller als mein Skelett, wodurch es zu deformierten Knochen kam. Ich merke, wie wir permanent gestresst, verwirrt und aggressiv sind, doch auch dagegen haben die Menschen Mittel: damit wir uns nicht gegenseitig blutig picken, werden uns bereits kurz nach dem Schlüpfen die Schnabelspitzen abgeflämmt – ohne Betäubung. Der Schmerz war groß. Einige meiner Geschwister hatten auch krampfhafte Zuckungen oder sind an plötzlichem Herzversagen verstorben. Andere Erscheinungen, die mir auffielen waren Atembeschwerden, Blindheit oder Knocheninfektionen. Wenn einer von uns erkrankte, bekamen wir alle sofort Medikamente, um zu vermeiden, dass die anderen auch erkranken. Die Medikamente, die sie Antibiotika nennen, wurden in unser Trinkwasser gemischt. Dadurch entstehen jedoch widerstandsfähige Keime und das Antibiotika gelangt
ebenfalls in den Menschen, sodass diese eine Resistenz bilden könnten.

Der Grund für all diese Umstände ist der Mensch, welcher sich in den Mittelpunkt stellt, wie der anthropozentrische Ansatz es beschreibt. Er hat eine Sonderstellung aufgrund seiner Vernunftbegabung. Außerdem ist er ein beseeltes Wesen und sieht sich als Ebenbild Gottes. Seine Interessen müssen geschützt werden und nur er ist Objekt ethischen Handelns. Wir Tiere und Pflanzen hingegen haben kein Recht und Schutzinteresse, nur wenn es um seinen Eigennutz geht sind wir ethisch relevant. Der Mensch betrachtet sich als Herrscher der Natur, welche in seinem Dienste steht. Kritisch wird es, wenn er zu weit im Nutzen der Natur geht, wie es heute leider oft der Fall ist. Dadurch wird die Natur nachhaltig geschädigt und zerstört, sogar ihre natürliche Ordnung wird komplett Verändert. Er greift in die natürlichen Abläufe ein und verändert sie zu seinem Gunsten, beispielsweise um besonders große und dicke Hühner zu züchten wie meine Geschwister und mich. Die Menschen begründen ihre Machtstellung dadurch, dass sie leidensfähig sind; ein Bewusstsein, Vernunft und eine Seele besitzen und dass sie in der Lage sind eigene Handlungen selbst zu reflektieren. Zusätzlich haben sie eine Individualität, Selbstwertgefühl und eine komplex entwickelte Sprache. Er schützt zwar die Natur, jedoch nur um seine eigene Lebensgrundlage zu erhalten. Betrachtet man Kants Aussage hingegen, dass Tiere nicht grausam behandelt werden dürfen, da sonst die Moralität des Menschen geschwächt würde, so stellt man einen Gegensatz zur Praxis in der Gegenwart fest. Menschen, die grausam mit Tieren umgehen, gehen laut Kant auch mit anderen Mitmenschen grausam um. Der Mensch steht zwar über dem Tier und darf es als Ware ansehen, als Gut was die Natur ihm gibt, jedoch sollten die Tiere stets würdig und respektvoll behandelt werden. Unter diesem Aspekt ist die Praxis von Massentierhaltung vollkommen legitim, wenn uns Tieren würdige Lebensverhältnisse zugestanden werden, wie ausreichend Platz und Auslauf, und wir wertgeschätzt werden.

Doch dies ist oft in der Industrie der Massentierhaltung nicht möglich, da diese dem Profit gerichtet ist. Niedrige Kosten und höhere Profite sind oftmals eine starke Motivation, selbst wenn anfangs die Absichten gut waren. Dabei wird meist vernachlässigt, dass auch wir Tiere eine Leidensfähigkeit besitzen und stets wahrnehmen, was mit uns geschieht. Peter Singer einerseits sagt, dass das Prinzip der Gleichheit nicht die gleiche Behandlung, sondern die gleiche Berücksichtigung erfordert. Dies lässt sich am Beispiel von Schwein und Hund gut erklären, denn beide können durchaus die gleiche Behandlung erfahren, jedoch werden sie nicht gleich berücksichtigt, da der Tod des Schweines stets weniger wert sein wird als der Tod eines Hundes. Jeremy Bentham hingegen besagt, dass die Frage bezüglich der Rechte eines Lebewesens nicht an dessen Fähigkeiten, wie Sprachoder Denkvermögen, sondern an dessen Leidensfähigkeit gemessen werden soll. Damit deutet er an, dass auch andere Lebewesen leidensfähig sind und somit ebenfalls eine gleich gute Behandlung verdienen, wie die der Menschen. Wir Tiere sind durchaus in der Lage Gefühle wie Schmerz, Freude, Frustration oder Mutterliebe zu empfinden, auch wenn viele Menschen das vernachlässigen. In der Art in der wir gehalten werden, spricht man uns jegliche Rechte ab und wir werden objektiviert. Dabei ist es egal, ob es sich um Massen- oder Freilandtierhaltung handelt, denn die Menschen können keine „humane“ Weise finden, wie sie uns Tiere behandeln können. Egal, ob wir die Gelegenheit bekommen draußen Leben zu dürfen, letztendlich sind und bleiben wir dem Menschen untergestellt, egal wie sehr man sich bemüht uns ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Ein angenehmes Leben wäre uns nur möglich, wenn wir wie die Natur es vorgesehen hat in Freiheit leben dürften und wir unser Leben dem natürlichen Lauf überlassen können.

Insgesamt kann ich all das, was die Menschen mit uns tun nicht gutheißen. Meiner Meinung nach haben auch Tiere ein Recht auf ein artgerechtes Leben. Doch was kann ich diesbezüglich noch ausrichten? Mein Leben neigt sich dem Ende zu, darüber bin ich mir sehr sicher, denn die Menschen rissen mich von meinen Geschwistern fort. Ich weiß auch meine Artgenossen können nichts am vorhandenen System verändern, die einzigen, die das können, seid ihr Menschen. Bitte setzt euch für unsere Rechte ein, überdenkt doch einmal euer Handeln und greift, wenn ihr schon nicht auf Fleisch verzichten könnt, zu einer teureren Alternative, welche euch die Sicherheit gibt, dass wir ein etwas artgerechteres Leben geführt haben, sodass ihr die Massentierhaltung nicht noch weiter bestätigt und unterstützt. Und nun gehe ich fort in der Hoffnung, dass schon bald weniger meiner Artgenossen das selbe Leid wie ich durchleben müssen. Der Mensch steht nicht über dem Rest der Natur, er ist den anderen Lebewesen gleichgestellt und ebenso ein Teil des großen Ganzen – vergesst dies nicht, wenn ihr versucht Nutzen aus unserer Natur zu ziehen.