Leben und leben lassen

Leben und leben lassen – Warum du vielleicht (trotzdem) weniger Fleisch essen solltest

„Leben und leben lassen“ ist definitiv die Aussage, die ich am meisten lese oder höre, sobald der Verzicht auf Fleisch thematisiert wird. Prinzipiell stimme ich dem zu, allerdings fällt vor allem im Bezug zur vegetarischen oder sogar veganen Ernährung der Widerspruch innerhalb dieses Standpunktes auf: Trifft das „leben lassen“ eigentlich nicht auch auf die Tiere zu, die geschlachtet werden?

Bei meinen Recherchen zum Thema bin ich auf eine große Vielfalt an Gründe gestoßen, warum viele Menschen kein Fleisch essen. Am Bekanntesten sind vermutlich ethische und ökologische Motive, jedoch sollte man nicht vergessen, dass für manche auch

gesundheitliche, religiöse, ästhetische oder ökonomische Aspekte wichtig sind. Im Folgenden werde ich die 4 Gründe und Vorteile erläutern, die für mich bei meiner Entscheidung mich vegetarisch zu ernähren momentan die größte Rolle spielen.

 

1) Vegetarische Ernährung schont den Regenwald

Dass der Regenwald in Südamerika abgeholzt wird, um Platz für Landwirtschaft zu haben, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Auch Soja wird dort in hohem Maße angebaut und wird nicht, wie fälschlicherweise oft angenommen, nach Deutschland geliefert, um zu Fleisch- und Milchersatzmitteln verarbeitet zu werden. Stattdessen werden über 90% des Soja als eiweißreiches und dadurch effektives Futtermittel für die Massentierhaltung genutzt. Je mehr die Nachfrage nach Fleisch steigt, desto mehr Futter ist nötig. Da es in Deutschland nicht möglich ist, genug anzupflanzen, muss eben Getreide wie Soja aus anderen Ländern importiert werden, was die Umwelt erneut belastet. Weiterhin wird ein beachtlicher Teil des zerstörten Amazonas als Weide für Rinderzucht gebraucht, die ca. 18% des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen zu verantworten hat. Das Abholzen hat zur Folge, dass viele Tierarten, wie der goldene Pfeilgiftfrosch aufgrund ihres fehlenden, notwendigen Lebensraumes bedroht sind und in Gefahr, auszusterben. Zusätzlich zur Rodung dieses einzigartigen Gebietes gefährden die im Regenwald verwendeten Schädlingsbekämpfungsmittel für die Felder die dortigen Flüsse, Fische und Menschen.

2) Bekämpfung des Welthungers

Laut der Welternährungsorgansisation (FAO) leiden ungefähr 870 Millionen Menschen an Unterernährung und Hunger, was teilweise mit der Ressourcenverschwendung von Industrieländern verknüpft ist. Abhängig von verschiedenen Quellen lässt sich der jährliche Konsum von Fleisch hier statistisch gesehen bei 70-82kg pro Kopf einordnen und ist damit mehr als doppelt so hoch als in Entwicklungsländern. Das Problem sind hierbei sogenannte Veredelungsverluste: von der Masse, die die Tiere als Nahrung zu sich nehmen, setzen sie nur einen Bruchteil der Kalorien an. Damit beispielsweise 1kg Fleisch produziert werden kann, müssen Tiere bis zu 16kg Getreide fressen. Häufig wäre es möglich direkt von Getreide wie Mais oder Weizen Gebrauch für die menschliche Ernährung zu machen. Für die Ernährung eines Fleischessers wird hingegen fast 20 mal mehr landwirtschaftliche Nutzfläche benötigt als für einen Vegetarier.

3) Kann ich den Konsum von Fleisch verantworten?

Laut dem deutsch-amerikanischen Philosophen Hans Jonas (1903-1993) ist der Mensch das einzige Lebewesen, das uns bekannt ist, das fähig ist, Verantwortung zu haben. Je mächtiger der Mensch ist, desto mehr dehnt sich auch die Verantwortung aus (ob gewollt oder nicht) und zwar in einem Maß, bei dem es unmöglich ist, es komplett zu überblicken. Aus diesem Grund entwarf er auch den neuen Imperativ, in welchem er fordert, dass man das Leben zukünftiger Generationen nicht riskieren soll. Hans Jonas bezieht sich dabei auch auf den Existentialismus, der sich in das “An-sich“, beziehungsweise die Existenz und das “Für-sich“, auch genannt Essenz, gliedert.

Das “An-sich“ bezeichnet etwas, was kein Bewusstsein für sich hat und dementsprechend von sich selbst unverändert einfach nur existiert, wie etwa ein Tisch. Der Mensch dagegen kommt zufällig auf die Welt und hat die Möglichkeit sowie Pflicht sich zu entscheiden, wie er sein will. Damit gibt er sich eine Essenz und ist verantwortlich für sein Handeln. Durch Blicke, Urteile von anderen oder den eigenen Tod kann der Mensch von einem “Für-sich“ zu einem “An-sich“ werden.

An dieser Stelle kannst du dir die Frage stellen: Ist das “Leid“, was ich durch den Verzicht auf Fleisch verspüre wichtiger als die aktuellen und zukünftigen Geschehnisse (wie zum Beispiel der Welthunger und der Klimawandel), die ich mit dem Konsum von Fleisch begünstige, vorantreibe und verantworte?

Ich für meinen Teil kann nur verneinen, weil ich den Genuss von bestimmten Lebensmitteln nicht über die enormen Ausmaße der damit verbundenen Folgen stellen möchte. Obwohl ich beispielsweise sehr gerne Carpaccio vom Rind gegessen habe, fiel es mir nicht schwer darauf zu verzichten. Vor allem, weil ich nicht bereit war und bin, die Abholzung des Regenwaldes in Südamerika zu unterstützen und durch meine bewusste Entscheidung zum Kauf der Ware diese Zerstörung zum Teil mit zu verantworten.

Außerdem ist es, wie ich finde, unsere Aufgabe die Erde so zu erhalten, dass sie auch für spätere Generationen von Menschen sowie Tieren bewohnbar ist und sich vielleicht in der Art des Zusammenlebens zwischen Mensch und Natur insofern verbessert, dass der Mensch nicht mehr als übermäßig privilegiert angesehen wird. Wir sollten uns immer daran erinnern, dass wir die Chance haben, zu leben und diese anderen aus Egoismus und Bequemlichkeit nicht verwehren sollten.

4) Kein Tier möchte sterben

Inzwischen kann ich auch nicht mehr nachvollziehen, wie man so stark zwischen Haustieren und jenen Tieren, die für die Fleischproduktion gezüchtet werden differenzieren kann. Ich finde es sehr widersprüchlich, von sich zu behaupten, dass man Tiere über alles liebt und niemals in der Lage dazu wäre, zum Beispiel seine Katze zu schlachten und anschließend zu verzehren aber gleichzeitig ohne Bedenken Fleisch von einem Schwein isst. Während es in Deutschland für Entsetzen sorgen würde, sein Meerschwein zu braten, ist es in Peru Normalität. Das bestätigt, dass eigentlich gar nicht die Tierart von Bedeutung ist, sondern das, was einem vom Umfeld als alltäglich vorgelebt wurde. Somit ist für mich die einzig richtige Schlussfolgerung, gar keine Tiere mehr zu essen, denn nur, weil ich das Zusammenleben mit diesen Nutztieren nicht kenne und irgendwann einmal beschlossen wurde, das Schlachten dieser Tiere zu etablieren, kann ich diese ja nicht deswegen verurteilen. Warum sollte also ein Hund mehr wert sein als ein Lamm?

Was du machen kannst:

Ich denke, dass es für die Mehrheit einfacher ist, Schritt für Schritt seinen Fleischkonsum zu reduzieren. Beispielsweise kannst du mit einem fleischlosen Tag pro Woche starten, dich allmählich steigern und dir dafür lecker Rezepte aus dem Internet aussuchen. Allerdings solltest du dich nicht zu stark darauf fokussieren, das Fleisch direkt zu ersetzen, meiner Erfahrung nach schmecken die wenigsten Produkte nicht auch nur annähernd nach Fleisch.  Stattdessen macht es mehr Spaß neuen Gerichten offen und ohne besondere Erwartungen gegenüber zu stehen.

Wenn du Fleisch und andere Tierprodukte kaufst ist es ratsam, auf verschiedene Siegel zu achten, die in den verlinkten Quellen genauer erklärt werden.

 

 Das EU-Biosiegel            Demeter-Siegel für Milchkühe     Siegel für Hühner       

 

Du solltest aber immer daran denken, dass eine vegetarische oder vegane Ernährung nicht zwangsläufig gesund und umweltfreundlich sein muss, zum Beispiel werden für den Anbau der beliebten Avocado für 1kg ungefähr 1000 Liter Wasser benötigt, für 1kg Tomaten sind es nur 200 Liter.

 

Mein Fazit:

Ich kann es für mich nicht mehr verantworten Fleisch zu essen, sowohl aus ökologischen als auch ethischen Gründen. Nur weil Fleisch früher für den Menschen notwendig war, bedeutet es nicht, dass sich im Laufe der vielen Jahrhunderte nichts daran geändert hat. Zwar enthält Fleisch wichtige Nährstoffe, jedoch können diese auch oft durch pflanzliche Alternativen zu sich genommen werden. Zumindest reiche Länder wie Deutschland sollten ihren Fleischkonsum drastisch reduzieren, um andere Menschen, Tiere und die gesamte Erde zu schützen. Vor allem aber müssen die Bedingungen für die Tiere, die zum Verzehr bestimmt sind, in extremen Ausmaße verbessert werden. Es ist einfach unmenschlich, Tiere für den eigenen Genuss so leiden zu lassen und das sollte jeder Mensch mithilfe seiner Vernunft, die ihn ja bekanntlich von Tieren unterscheidet, begreifen. Ich bin jedenfalls gespannt, ob sich zukünftig vielleicht Fleisch aus dem Labor durchsetzen wird.

Bis dahin, leben und (Tiere) leben lassen!

 

Autorin: Lena Schmieder

 

Textquellen:

  • https://www.abenteuer-regenwald.de/bedrohungen/fleisch/auswirkungen
  • https://www.abenteuer-regenwald.de/bedrohungen/fleisch
  • https://www.geo.de/geolino/natur-und-umwelt/1943-rtkl-tiere-bedrohte-tierarten-im-amazonas#150970-goldener-pfeilgiftfrosch
  • https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/umweltbundesamt-zum-zusammenhang-von-fleischkonsum-und-welthunger
  • https://www.peta.de/welthunger
  • https://vebu.de/tiere-umwelt/umweltbelastung-durch-fleischkonsum/welthunger/
  • https://eatsmarter.de/ernaehrung/news/fuenf-gruende-warum-besser-vegetarier
  • https://www.welt.de/reise/Fern/article121281400/60-Millionen-Meerschweinchen-fuer-den-Kochtopf.html
  • https://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/swr/avocado-wahnsinn-100.html
  • https://www.mobilegeeks.de/artikel/fleischersatz-labor-fleisch-insekten-fleisch-freunde-gewoehnt-euch-dran/